Liedkunst

Für einen Freund des gesungenen Wortes sind die Lieder von F.J. Degenhardt immer noch ein Hochgenuss. Allein der Song „Väterchen Franz“ stellt ganze Lebensleistungen der Song-Schwachmatiker unter den heutigen Liedpoeten in den Schatten, wer kann denn heute noch ein „riesengroßes Tier“ erfinden, das seufzen kann und dann auch noch mit „riesengroßem Seufzer“ unter den Baggerketten zusammenfällt? Ebenso unerreicht „In den guten alten Zeiten“ oder „Notar Bolamus“ und natürlich „Schmuddelkinder“. Höchste Erzählkunst, fast alles wird allein über die Stimme transportiert und immer auf einfachste Weise musikalisch begleitet, wodurch – aufgepasst, ihr orchestralen Midi-Stümper! – die Geschichte überhaupt erst richtig zur Geltung kommt! Aber gut, wer nichts zu erzählen hat, muss halt das Klängebrimborium entfalten, wie öde und fad, wie fühlt sich der Hörer heute verloren in der Handyrubblerwüste. Das Degenhardtsche wunderschöne „Feierabend“ allerdings wirkt dann doch sehr patriarchalisch, das nun wieder gibt den jungen Frauen Hoffnung, die das eigene Leben überfordert. Solche verlorenen Dinger brauchen sich keinem IS-Kämpfer an den Hals zu werfen, wenn Degenhardt singt: „Schließ die Fensterläden, bring mir das MG, zapf ein Kännchen Schnaps vom Fass.“ Kann sich der große Kämpfer denn sein Schießeisen nicht selber hertragen? Oder seinen Schnaps selber zapfen?„Schlaf bei unsern Kindern, küß mich und dann geh. Halt, verbrenn noch den Familienpaß“, diese Frau wird ja als Dienstmagd gehalten, oder wie eine Kriegsbraut, die nach der Schlacht plündernd übers Feld streift und ihrem Soldatengatten das Zelt tapeziert. Und wie oft kann man einen Familienpass verbrennen? Egal. Der Einschub „Küß mich und dann geh“ versöhnt jede Inhaberin eines solchen Ansaugstutzens der Liebe, sie fühlt sich wertgeschätzt und trollt sich folgsam, um das Fenster zu schließen usw. Wer „Lustig flackerts Licht im Schlachthaus auf, die Kälber schrein“, dichten kann, oder “ Papas Lied lullt ein beim Ledernackenschlag“, der kann auf emanzipatorische Sollbruchstellen pfeifen. „Mauerseger ruhn…“.  stimmt allerdings nicht, die steigen auf zweitausend Meter und „schlafen“ im Gleitflug. Aber auch das stört kaum bei „Feierabend“ von Degenhardt. Wird diese Liederkunst wieder aktuell? Vielleicht, wenn auch nicht so:
„Mißgünstig seine Geier labend / ruft der Kadaver: „Feierabend!“ (MH)